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Paddeln in Polen schlägt zurück

Es war etwas still hier in der letzten Zeit. So still, dass sich sogar meine liebe Mama(!) beschwert hat. Aber alles hat seine Gründe und nichts ist von Dauer. Der Grund für die Stille war natürlich erstmal ein unglaublich cooler Urlaub, der – wie der Titel erahnen lässt – weit jenseits digitaler Kommunikationsmedien stattgefunden hat. Dummerweise gingen Ende des Urlaubs und Wiederaufnahme von alltäglichem Broterwerb nahezu nahtlos ineinander über, so dass es etwas gedauert hat, bis alle Fotos gesichtet, sortiert und ausgewählt wurden und bis der normale Blogbetrieb hier wieder aufgenommen werden konnte. Aber hier is er, der Reisebericht: Paddeln in Polen schlägt zurück! Viel Spaß!


Paddeln auf der Czarna Hancza

Nachdem wir im vergangenen Jahr das Paddeln recht gut vertragen haben, hat sich der ehrenwerte Bühnenterrorist umgehend an die Planung für eine Wiederholung des Abenteuers gemacht. Statt der Masuren haben wir dieses Mal ein Gebiet in Angriff genommen, dass noch ein Stückchen weiter östlich liegt, die sogenannte Augustow-Suwalki-Region. Und statt der Anreise mit Mamas Auto haben wir die Anreise dieses Jahr auf Schienen hinter uns gebracht, was ganz nebenbei auch eine recht interessante Erfahrung war.


Entspannte Anreise mit viel vorbeiziehender Landschaft

In Zügen, die in Deutschland starten oder ankommen, kann bzw. muss man sogar Sitzplätze reservieren. In polnischen Zügen hat sich dieses Konzept noch nicht rumgesprochen, was in der Urlaubssaison in Zügen, die immerhin durch die Masuren durchfahren schon zu gewissen Resourcen-Engpässen führt. Jaa, ich hab meinen Urlaub in vollen Zügen genossen. Haha. Ha. Ha. Äh, ja. Sorry.


Tag 1 – Kloster auf dem Wigry See

Drollig war auch der Schaffner, der alle 20 Minuten an unserem Lager vorbei kam, das wir vor der Zugtoilette errichtet hatten, und etwas Unverständliches mit dem Wort „Bagasch“ drin murmelte und dabei wild in Richtung unseres Gepäcks gestikulierte, das einen der Zugeingänge meterhoch blockierte. Wir hätten es wirklich gern wo anders hingeräumt, aber Alternativen wollte er uns auch nicht zeigen. So wiederholte sich das Schauspiel in schöner Regelmäßigkeit. Der Servicewagen mit Kaffee und Snacks hat es leider nur einmal probiert, sich durch den Zug zu kämpfen.


Tag 1 – Poslaw See

Im Ort Gizycko – die Haupthaltestelle in den Masuren – leerte sich der Zug dankenswerter Weise. Von den insgesammt 13 Stunden Anreise, konnten wir die restlichen 6 Stunden also recht entspannt und sitzend angehen. Und wenn ich ehrlich bin, hat mir diese Form der Anreise deutlich besser gefallen, als die Autofahrt im letzten Jahr. Die Augenringe auf dem Foto weiter oben hatten andere Gründe.


Tag 1 – Ein Pferd an der Czarna Hancza

In Suwalki angekommen, machten wir uns auf die Suche nach dem dortigen Zeltplatz. Ein kleiner Marsch mit viel zu schwerem Gepäck führte uns in der Abendämmerung zu dem PTTK Büro. PTTK ist sowas wie die staatliche Tourismusbehörde, die auch viele Zeltplätze in Polen betreibt. Dummerweise heißt das nicht, dass überall wo PTTK dran steht auch ein Zeltplatz ist, beispielsweise kann ein PTTK Büro locker mal 7 oder 20 km vom nächsten Zeltplatz entfernt stehen. Das hat uns überrascht.


Tag 1 – Auf der Czarna Hancza

Vor diesem PTTK Büro war gerade ein Mann damit beschäftigt, seinen Kleinwagen aufzuräumen. Nach etwas deutsch-polnisch-englisch-Konversation unsererseits und Telefonaten seinerseits konnte er uns die beiden nächstgelegenen Campingplätze nennen – einer 7km entfernt im Süden, der andere 20 km entfernt im Norden. Zufälligerweise stand da noch ein Transporter neben dem Kleinwagen und wir waren dreist genung zu fragen, ob er nicht gerade Zeit und Lust hätte, uns zu dem näheren der beiden Zeltplätze hinzufahren, was er tatsächlich tat. Also fast. Wir waren jedenfalls so dankbar und auch verblüfft, dass dieser Mensch mal eben sieben fremde Menschen mit Unmengen Gepäck an einem Samstag Abend durch die Gegend chauffiert, dass wir gar nicht recht protestieren mochten, als er uns dann doch zum falschen Campingplatz brachte, nämlich den weiter entfernteren im Norden.


Tag 1 – Ein Reiher im Schilf

Ich weiß gar nicht, ob das reine Nettigkeit war oder ob er vielleicht einen Deal mit Leuten vom Zeltplatz hatte. Aber einem geschenkten Gaul – er wollte nichtmal Geld von uns haben – schaut man eben auch nicht all zu skeptisch ins Maul. Und trotz gegenteiliger Erfahrungen im letzten Jahr, wurden wir dort auch nach 21 Uhr noch warm bekocht. Was will man mehr.

Gut übrigens, dass wir das Aufbauen unseres neuen Zeltes ein paar Abende vorher schonmal im beleuchteten Wohnzimmer geprobt hatten …


Tag 1 – Lagerfeuer

Für den Folgetag stellte uns diese kleine Abweichung vom Plan jedoch vor ein paar Probleme: Der Zeltplatz war weit abgelegen und wir hatten eigentlich vor in Suwalki Vorräte und – ganz wichtig! – Holzkohle für unseren Grill zu kaufen. Das mit der Holzkohle muss ich vielleicht etwas weiter ausführen: Teile unserer Reisegruppe hatten ernsthafte Bedenken, ob man in Polen ganz normal Holzkohle zu kaufen kriegt. Weiß man ja nicht, bei uns gibts das in jedem Supermarkt, aber es kann ja sein, dass man dafür in Polen extra einen Fachmarkt aufsuchen muss oder eine Apotheke (für diesen Satz werd ich bestimmt verprügelt, aber das ist es mir Wert!). Die Skepsis wollte auch nicht weichen, nachdem uns von Insidern verlässlichst versichert wurde, dass Holzkohle ganz legal in den üblichen Supermärkten zu kaufen sei, die es in Deutschland eben auch gibt und dass es mehr als genug davon auch direkt in Suwalki gibt. Wir konnten also besagten Teilen der Reisegruppe gerade so ausreden, dass wir tonnenweise Holzkohle quer durch Europa transportieren mussten. Aber dafür mussten wir jetzt auch ein geeignetes Geschäft finden, dass uns mit dem wertvollen Rohstoff versorgen konnte.


Tag 2 – Schwäne am Morgen

Laut den Zeltplatzbetreibern sollte „unten im Ort“ ein Bus nach Suwalki fahren und den Ort erreiche man in 15 bis 20 Minuten.

Nach einem gemütlichen Marsch über 1,5 Stunden waren wir „unten im Ort“, hatten den anvisierten Bus längst verpasst und einen Ausflug nach Suwalki von der Agenda gestrichen. Stattdessen haben wir im dortigen Dorfladen – einer Art Mini-Supermarkt – eingekauft und auch alles bekommen, was wir für die nächsten Tage brauchten. Bratwürste zum Beispiel. Und Grillkohle*.


Tag 2 – Zelte im Morgenlicht

Auch für den Beginn unserer Paddeltour am dritten Tag war die abgeschiedene Lage unseres ersten Zeltlagers eher ungünstig. Wie sich rausstellte, wäre der andere Zeltplatz, der nur 7km von Suwalki entfernt war, genau jener welcher, der direkt am Wigry See lag und Startpunkt unserer Wasserwanderung sein sollte. Wir mussten uns also vom Bootsverleih abholen lassen und das hat viel Zeit gekostet. Gibt es eigentlich ein Volk außer den Deutschen, das im Reiseführer als pünktlich charakterisiert wird?


Tag 2 – Auf der Czarna Hancza

Irgendwann war aber auch das Hindernis überwunden, die Boote beladen und wir voller Vorfreude auf das bevorstehende Abenteuer. Unsere Reisegruppe bestand aus 7 Leuten, die auf vier Boote verteilt waren: Drei Pärchen und ein Gepäckbootfahrer, der dankenswerter Weise ohne auch nur den leisesten Anflug einer Beschwerde anzutäuschen all das mit in sein Boot nahm, was in die anderen drei nicht mehr so locker reingepasst hätte. Wir hatten dieses Jahr alle deutlich mehr Platz in den Booten, als im letzten Jahr.


Tag 2 – Libellen auf Feuerholz

Unsere Tour startete in Stary Folwark am Wigry See, der einer der größten und – mit irgendwas um die 70m Tiefe – tiefsten Seen der Region ist.  Wir umpaddelten dort die große Halbinsel, auf der ein zum Hotel umgebautes altes Kloster malerisch in der Landschaft stand, um den See in Richtung des Poslaw Sees und schließlich der Czarna Hancza zu verlassen. Ich habe unsere Route bei Google Maps mal grob umrissen, falls das jemand etwas genauer mitverfolgen möchte:
Paddeltour auf einer größeren Karte anzeigen

Vom Wigry See über die Czarna Hancza südöstlich bis nach Rygol knapp an die weißrussische Grenze. Dort ging es auf den Augustow-Kanal, der uns über viele kleine und großen Seen wieder nach Westen bis nach Augustow führte. Von dort ging die Reise weiter nach Süden, wo wir den Kanal verlassen haben und parallel dazu auf der Netta gepaddelt sind, bis diese sich mit der Biebrza vereinte, welcher wir weiter in Richtung Südwesten folgten, bis wir in Wizna unseren Endpunkt erreicht hatten.


Tag 1 – Treiben lassen

Die Czarna Hancza ist Teil des Wigry Nationalparks. Sie ist ein kleines Flüßchen mit sicht- und spürbarer Strömung, die das Paddeln zwar meistens deutlich erleichtert hat, gelegentlich aber auch zu schwierigen Situationen auf dem Wasser führen konnte, wenn da mal wieder ein kleines Bäumchen beharrlich den Weg versperrte. Das Wasser war die meiste Zeit sehr klar und flach und der Flusslauf führt hauptsächlich durch Wald. Wie man auf den Bildern und dem kleinen Video sehen kann, war dieser Streckenabschnitt besonders malerisch und idyllisch.


Tag 2 – Da geht’s zum Laden

Es gab dort überall am Wasser kleine privatbetriebene Biwakplätze. Die gehörten meistens irgendwelchen Bauern, die dort ihr Land haben und sich so etwas dazuverdienen. Die Plätze sind nicht teuer (ca. 1 EUR pro Person und Nacht) aber meist recht schön und idylisch. Außerdem kommt auch nicht jedes Mal jemand zum Abkassieren. Da unser Tourplan mit den Startschwierigkeiten ohnehin schon über den Haufen geworfen war, haben wir die ersten beiden Nächte einfach dort angehalten, wo es uns gefallen hat bzw. wo es gerade gepasst hat.


Tag 2 – Fast Vollmond

Das hat uns in der ersten Nacht einen besonders idyllischen Platz verschafft und für den zweiten Abend sehr nette Gesellschaft. Wir hatten das Vergnügen einen Österreicher mit seiner polnischen Frau kennenzulernen. Die beiden haben da in der Gegend irgendwo ihr Haus und haben ebenfalls einen kleinen Paddelurlaub gemacht und uns an diesem Abend hervorragend mit ihren Lagerfeuergeschichten vom Elch, Wolf und Biber unterhalten.


Tag 3 – Hier war ein Biber am Werk

Am dritten Abend hatten wir die Czarna Hancza bereits hinter uns. Wir waren schon auf den Seen unterwegs, die bereits zum Augustow-Kanal gehörten. Der Kanal ist in der Gegend sowas wie eine Sehenswürdigkeit. Direkt in Augustow gibt es auch ein Museum, dass sich mit allen Begebenheiten rund um den Kanal beschäftigt. Da entgegen anderslauten Behauptungen exakt kein Schriftstück in diesem Museum in einer anderen Sprache als Polnisch verfasst wurde, verbuche ich das Eintrittsgeld unter „für den guten Zweck“ und verweise auf die Wikipedia, die wie immer mehr weiß.


Tag 3 – Oberarmmuskeln in der Schleuse Perkuc

Aber schön ist der Kanal trotzdem. Immer mal wieder wird er von einem kleinen oder großen See unterbrochen und zwischen den Seen sorgen Schleusen für die nötige Abwechslung. Das Schleusen hat Spaß gemacht, am 4. Tag hatten wir gar das Vergnügen uns von einer Doppelschleuse hochschleusen zu lassen.


Tag 3 – Aussicht auf den See Krzywe

Ansonsten war die Reise recht ereignislos und auf einem Teilstück des Kanals sogar sterbenslangweilig: So schön der Wasserweg auch sein mag, wenn es kilometerweit nur geradeaus geht, ist das in so einem Kajak durchaus demotivierend. Um irgendwie wieder in unsere Tourplanung reinzukommen, hatten wir uns am 4. und 5. Tag entschlossen die Etappen zu verkürzen, einen Abstecher auf den Serwy See zu machen und dafür einen der eingeplanten Pausentage zu opfern.


Tag 4 – Doppelschleuse Paniewo

Auf dem Serwy See konnten wir gerade noch so ein bißchen Platz für unsere Zelte auf der großen Insel ergattern. Auf der Insel waren bereits zwei weitere Reisegruppen und sehr viel Bäume, so dass es ein wenig eng wurde. Wir haben dementsprechend auch auf das Lagerfeuer verzichtet, aber es war trotzdem sehr schön dort. Und idyllisch.


Tag 4 – Augustow Kanal

Tag 5 führte uns auf dem Augustow-Kanal direkt nach Augustow. Wir mussten einige größere Seen überqueren, auf dem reger Wasser- und Motorsport betrieben wurde. Es war auch interessant, sich so einen Ausflugsdampfer mal aus Kajak-Perspektive anzuschauen. Immerhin haben immer aller freundlich gewunken, bevor sie versucht haben, uns mit ihren Bugwellen zu versenken.


Tag 4 – Zelte auf der Insel auf dem Serwy See

Am 5. Tag ist auch das erste Unglück (ja, es gab mehr als eins. Schön weiterlesen, es bleibt spannend!) über die Gruppe hereingebrochen. In einem der Pärchenboote hat sich eine Sehnenscheidentzündung bemerkbar gemacht und es stand für einige Stunden eine Trennung der Gruppe zur Diskussion. Also, eigentlich war die Trennung schon beschlossen und vollzogen, aber dank der Beharrlichkeit der anderen Pärchenhälfte konnte auch Tag 5. noch gemeinsam abgeschlossen werden und man einigte sich für den Rest der Tour auf ein „wird schon irgendwie gehen“, was auch irgendwie ging.


Tag 4 – Auf der Insel auf dem Serwy See

Unser Zeltlager an diesem Abend haben wir quasi mitten in Augustow aufgeschlagen, wo es anders als in Suwalki relativ viele Zeltplätze gibt. Die Zeltplätze dort sind zwar nicht schön, aber immerhin musikalisch auch nicht unterversorgt. Von der gegenüberliegenden Halbinsel aus wurde der komplette See beschallt – von 20 bis exakt 22 Uhr. Die polnischen Charts sind übrigens genau wie in Deutschland: Nicht der Rede wert.


Tag 5 – Der Augustow Kanal, endlose Weiten

Am 6. Tag – ich hab keine Ahnung, was für ein Wochentag das war, jegliches Zeit- oder Datumsgefühl hatte bereits nach zwei Tagen vollständig ausgesetzt – haben wir einen Zwischenstopp am Augustow-Kanal-Museum eingelegt und sind bei der Gelegenheit gleich mal in die Stadt gelaufen zum Shoppen. Laut unserer Karte sollte das für die nächsten zwei Tage die letzte Einkaufsmöglichkeit sein.


Tag 6 – Biwakplatz beim freundlichen Bauern

Aber laut unserer Karte hätte am Ende des Tages auch ein Zeltplatz auf uns warten sollen. Wir hatten den Kanal verlassen, weil uns dieses kilometerlange Geradeauspaddeln schon zum Halse raushing. Stattdessen sind wir parallel zum Kanal der Netta gefolgt, die zwar auch nicht umwerfend spannend war, aber immerhin etwas Strömung und viele Kurven besaß. Laut Plan sollte uns der Flussverlauf wieder direkt zum Kanal führen, wo sich sowohl eine Schleuse als auch eine Campinggelegenheit befinden sollten. Die Schleuse war auch da. Um unsere Zelte aufzubauen, mussten wir jedoch erst noch den Bauern um Erlaubnis fragen, der dort sein Anwesen hatte. Und der war gerade seine Kühe melken.


Tag 6 – Allee am Kanal

Wir hatten schon eine Menge Glück auf dieser Tour und es sollte uns auch an diesem Abend nicht verlassen. Einerseits hatten wir Glück, dass der Bauer gerade Besuch hatte, der ein wenig Englisch konnte und für uns übersetzen konnte. Dann hatten wir Glück, dass der Bauer uns einfach so campieren ließ – er wollte nichtmal Geld. Und dann hatten wir Glück, weil das definitiv einer der Top-3 Campingplätze der kompletten Tour war. Wir hatten dort einen der entspanntesten Abende.


Tag 6 – Biwakplatz beim freundlichen Bauern, links die Schleuse Borki

Eigentlich waren wir mittlerweile auch mehr als reif für einen echten Pausentag. Das Paddeln wurde selbst für die unverletzten Leistungssportler unter uns, also für mich zum Beispiel, gegen Ende eines Tages zur Tortur. Da wir aber die Gastfreundschaft des Bauern nicht überstrapazieren wollten, wurde der Pausentag noch einmal verschoben, auf den nächsten Zeltplatz. Laut Karte standen uns zwei bis drei davon zur Auswahl auf der Tour.


Tag 6 – Sonnenuntergang durchs Wehr

Es mag jetzt etwas vorhersehbar sein, aber tatsächlich haben wir keinen einzigen davon gesehen bzw. haben wir diese kleinen Biwakflächen direkt an der Straße nicht als solche erkannt. An der letzten Schleuse der Etappe gab es ein Schild, dass einen Zeltplatz in 4km Entfernung andeute. Etwa 10 Kilometer später landeten wir auf dem einzigen Zeltplatz, auf dem wir ganz sicher nicht landen wollten, denn im Reiseführer wurde er ganz treffend mit den Worte „eng, laut, müllig“ beschrieben.


Tag 6 – Boote im Mondschein

Der Ort war ganz am Rand des Biebrza Nationalparks, den wir mittlerweile erreicht hatten. Offensichtlich war der Zeltplatz mit seinem Kiosk und dessen Musikanlage auch eine Art Szenetreffpunkt für die frustrierte Dorfjugend. Die touristische Begeisterung mit der wir dort unterwegs waren, teilt man als Jugendlicher dort wohl nicht ganz. Stattdessen ist man begeistert von Deutschland und den Niederlanden, wo man als Jugendlicher noch Perspektiven hat. Da konnte ich schlecht widersprechen. Das war auch nicht das erste Mal während der Tour, dass wir von Ost-West-Teilung Polens gehört haben. Im Westen blüht die Industrie, der Osten vereinsamt und verarmt, also wie bei uns.

So richtig begeistert waren wir von dem Platz also nicht, Pause wollten wir dort schon gar nicht machen.


Tag 7 – Auf der Netta oder vielleicht schon Biebrza

Die Pausentag-Sache wollten wir aber trotzdem nicht so ganz aufgeben, also sah der Kompromiss vor, dass wir am 8. Tag die 6km bis zum nächsten Zeltplatz paddeln und dadurch sowas wie zwei halbe Pausentage haben, was ausnahmsweise auch funktioniert hat. Der nächste Zeltplatz war ziemlich Ok. Man bot uns an, für 20 Sloty (ca. 5 Eur) soviel Holz verbrennen zu dürfen, wie wir finden konnten. Auf Nachfrage, welches Holz wir denn nehmen sollten – der Hof war penibelst aufgeräumt, da lag nichts rum und die Vorstellung eine der Blockhütten abzureißen erschien uns unverhältnismäßig und irgendwie auch zu anstrengend – wurden wir sogar mit perfektem Brennmaterial versorgt. Eine Schüssel für die Stockbrotzubereitung gabs sogar für umsonst.


Tag 7 – Boote entladen im Sonnenuntergang

Wir haben den ersten halben Pausentag schließlich doch sehr entspannt verbracht, also ich auf jeden Fall schlafenderweise im Vorzelt. Irgendwann im Laufe des Vortages hatten wir auch den Biebrza Nationalpark betreten bepaddelt. Leider stand da nirgends ein Schild und genaugenommen habe ich nichtmal den Übergang von der Netta zur Biebrza mitbekommen. Aber von der landschaftlichen Veränderung war schon etwas zu spüren und das war auf den ersten Blick sogar recht enttäuschend. Die Biebrza fließt durch sowas wie eine sumpfige Flußebene. In den letzten Jahren wurde die Landwirtschaft auf den betretbaren Wiesen weitgehend eingestellt, so dass die natürliche Verbuschung wieder eingesetzt haben soll, aber vom Boot aus war halt nicht sonderlich viel mehr zu sehen, als Schilfgräser am Ufer. Recht seltene und vielfältige Schilfgräser, behauptet der Reiseführer. Ihre wirkliche Schönheit präsentierte uns die Gegend eigentlich nur an den Abenden, wenn man aus etwas erhöhterer Position in der Ferne die Sonne untergehen sah. Wir hatten die Hoffnung, bald wieder in wäldlichere Gebiete zu paddeln.


Tag 8 – Sonnenuntergang über der Biebrza

Wir hatten übrigens auch Hoffnung, ein paar interessantere Tiere zu sehen. Immerhin ist die Ecke von Polen berühmt und berüchtigt für seine Biber, Elche und Wölfe. Aber alle drei sind leider auch eher von der scheuen Sorte, so dass wir uns mit Störchen, Enten und Kühen zufrieden geben mussten. Aber ganz unspannend war auch das nicht, wie wir noch feststellen sollten.


Tag 9 – Lager und Boote

In der Entspannung des ersten halben Pausentags ist uns dann ganz nebenbei aufgefallen, dass unsere drei ganzen Pausentage wie durch Zauberei auf gerade mal zwei halbe zusammengeschrumpft sind. Jedenfall, wenn wir unser Ziel noch erreichen wollten. Ups.


Tag 9 – Das sprichwörtliche Glashaus

Tag 9 sah eine relativ kurze Etappe von vielleicht 11km bis in das Örtchen Goniadz vor. Es war sehr windig am Morgen und irgendwie war klar, dass uns das Glück in Sachen Wetter bald verlassen würde. Bis dahin hatten wir an jedem Tag schönstes Sommerwetter.  Zunächst war es aber nur sehr windig, was auf dem Wasser in einer Ebene aber schon ein echter Spielverderber sein kann. Zum Glück hatten wir nur eine kurze Etappe vor uns, so dass wir längst unser Lager aufgebaut hatten, als der Regen einsetzte.


Tag 9 – Von Störchen beschissen

Unterwegs blockierte so eine Art Schilfdamm – wahrscheinlich vom seltenen Schilfbiber angelegt – den Weg. Da mussten wir mit den Booten etwas improvisieren, um da rüber zu kommen. Das folgende Video stellt das gerade mal anschaulich dar:


Tag 9 – Bootrutschen

Unser Lager in Goniadz haben wir auf dem Gelände eines Ferienheims aufgeschlagen. Das sah original wie die alten Ferienlager in der DDR aus, auch mit kleinen Hütten die man mieten konnte. Seltsammerweise waren wir aber fast die einzigen Gäste dort. Klar, es hat zwar geregnet, aber es war ja irgendwie auch mitten in der Saison und so insgesamt war das Wetter ja ganz brauchbar. Uns hat selbst der Regen noch getaugt, um an der offiziellen Badestelle vor Ort mal kurz ins Wasser zu springen.


Tag 9 – Blick auf unser Lager aus der Ferne

Offizielle Badestelle heißt übrigens nicht, dass man da ohne festes Schuhwerk reingehen sollte. Keine Sorge, niemand von uns ist in die Reste einer zerbrochenen Bierflasche getreten, in Polen trinkt man Wodka. Meine Liebste hat auf diese charmante Art eine ganz brauchbare Marke aufgetan und offenbar hat der Wodka die Wunde hervorragend desinfiziert, obwohl die Scherbe schon tage- oder vielleicht gar wochenlang im Wasser lag. Jedenfalls verlief die Sache glimpflicher, als es die Blutspur zunächst erahnen ließ, die böse Schnittwunde verheilte ohne weiteres Drama.


Tag 9 – Sobieski Wodka**, manch einer steht drauf

Wir haben die Sorte einen Abend später mal probiert und wie gesagt für ganz brauchbar empfunden. Ich würde diese Form des Marketings aber nur eingeschränkt weiterempfehlen.


Tag 9 – Blut

Am nächsten Tag – ich glaub wir sind mittlerweile bei Nummer 10 –  erwartete uns dann zwar auch kein wirklich freundlicheres Wetter, aber immerhin hat es nicht geregnet. Obwohl den ganzen Tag immer mal wieder recht dunkle Wolken vorbeizogen, blieb uns das Unwetter erspart, solange wir unterwegs waren. Für mich war die Etappe an diesem Tag irgendwie die schönste während des gesamten Urlaubs. Das Wetter war nicht perfekt und die Landschaft hatte sich auch nicht mehr großartig verändert und war weiterhin sehr schilfig, aber trotzdem hat mir das Gepaddel genau an diesem Tag am meisten Spaß gemacht. Ich war irgendwie gut drauf.


Tag 10 – Stahlgrauer Himmel

Unterwegs konnten wir vom Boot aus auch tatsächlich noch einen Biber sehen, wie er wenige Meter vor uns den Fluss kreuzte. Gut, so ganz genau konnte man das Vieh nicht erkennen, hätte auch ein Otter oder Fuchs oder Nessie sein können. Aber trotzdem. Das wirkliche Highlight der Etappe war aber tatsächlich das Ziel: Ein Campingplatz mitten im Nichts. Mit Aussicht!


Tag 10 – Eisenbahnbrücke

Dieser Platz war einfach fantastisch: Man konnte von der Aussichtsplattform unendlich weit in alle Richtungen schauen. Es gab weit und breit keine sichtbaren Anzeichen von Zivilisation – mal abgesehen vielleicht von einem Handymast, aber geschenkt. Überall Gegend, voller unberührter Natur. Wahnsinn! Es hat sich ein bißchen so angefühlt, wie den endlosen Ozean zu sehen, irgendwie groß und endlos weit.


Tag 10 – Grauer Himmel mit Boot

Das Wetter hat sich auch noch eine kleine Showeinlage gegönnt, indem es uns kurz einen kleinen Platzregen vorbeigeschickt hat, den man natürlich schon von ganz Weitem kommen sah und dem man auch noch lange hinterherschauen konnte. Die Sonne hat sich beim Untergehen richtig ins Zeug gelegt und abends regnete es Sterne vom Himmel. Das war schon schön dort. Ich glaub, wir haben auch ein Foto gemacht von dem Platz. Ähem.


Tag 10 – Unwetter kommt

Ich habe euch weiter oben noch etwas Spannung versprochen, nun hier kommt sie. Die vorletzte Etappe stand an und die hat sich gewaschen bzw. hat sie uns gewaschen, aber ich greife vor. Es gibt für nahezu jede Lebenssituation einen Ratgeber. Unter anderem gibt es Ratgeber, die einem erklären, wie man sich bei Gewitter verhalten soll. Wusstet ihr, dass man vor einem Gewitter nicht davon rennen soll? Wegen der Schrittspannung? Nein? Ich auch nicht. Stattdessen soll man mit Schlusssprüngen – also Füße zusammen – davon hüpfen. Niemand hat behauptet, dass Ratgeber immer sinnvoll sein müssen.


Tag 10 – Platz mit Aussichtsturm

Der für uns natürlich entscheidendere Hinweis in diesem Ratgeber war dieser hier: Sofort raus aus dem Wasser und mindestens 20m vom Ufer entfernen. Wird jetzt niemanden mehr überraschen, wenn ich sage, dass wir inmitten unserer Paddelei von einem Gewitter bedroht wurden, aber so war es. Jedenfalls näherte sich eine dunkle bedrohliche Wolkenformation, aus der es ab und zu herausblitzte und finster donnerte. Wir befanden uns immer noch in der Flussebene, weit und breit kein Baum oder Busch und somit auch kein brauchbares Festland in Sicht. So ein ganz klitzekleines Bißchen bekommt man da schon … Bedenken.


Tag 10 – Unwetter, fast da

Aber wir hatten Glück. Das Gewitter zog irgendwie an uns vorbei und verschonte uns. Dadurch, dass sich der Fluss sehr kurvenreich durch die Ebene hindurch wandt, war es schwer wirklich zu erkennen, in welche Richtung das Wetter so zog. Als das Etappenziel eigentlich schon fast überfällig war, wurde es wieder zunehmend dunkler. Und das, was da die Sonne verdunkelte, war nicht das freundliche ausweichende Gewitter von zuvor, sondern ein ganz neues ohne jegliche ausweichende Ambitionen.


Tag 10 – Malerische Idylle

Wenn man so einen sehr hellen Blitz sieht, auf den keine Sekunde später ein unfreundlicher lauter Knall erfolgt, während man selbst als so eine Art höchster Punkt auf dem Wasser unterwegs ist, dann bekommt man schon … noch mehr Bedenken.


Tag 10 – Bühnenterrorist im Abendrot

Wir paddelten so ein bißchen um unser Leben, der nächste Zeltplatz musste ja eigentlich hinter der nächsten Kurve kommen. Oder hinter der danach. Spätestens hinter der danach aber. Auf der Weide neben uns machte sich derweil die Leitkuh bemerkbar – einem Nebelhorn nicht ganz unähnlich – woraufhin sich eine ganze Herde Kühe in gemächlicher Panik in Bewegung setzte. Gut, Kühe bedeuten Menschen und Menschen bedeuten Zeltplatz, wir waren kurz vor dem Ziel. Mittlerweile wurden Licht- und Soundspektakel himmelseitig durch herabfallende Nässe untermauert.


Tag 11 – Unwetter in Sicht

Und hinter der nächsten Kurve war der langersehnte Pole Namiotowe – wie man in Polen zu den Zeltplätzen sagt – zu sehen. Naja, wir mussten noch ein wenig rangieren, das erste Grundstück ließ sich nicht so richtig anlanden, wir mussten noch ein paar Meter weiter. Und wie wir da so herummanövrierten mit unserem kleinen Boot, seh ich im Augenwinkel auf einmal etwas schwarz-weißes im Wasser. Ihr seht es auf den Bildern und das ist kein Witz: Neben Blitz und Donner mussten wir nun auch noch vor den Kühen flüchten. An Land haben die Viecher ja Angst vor Menschen, weil die größer sind. Aber wie verhalten sich panische Kühe im Wasser?


Tag 11 – Kühe auf der Flucht vor Gewitter

Durch den Einsatz übermenschlicher Kräfte konnten wir den Kühen davonpaddeln und uns ans sichere Festland retten und halbwegs sicher unterstellen, als der Hagel einsetzte.


Tag 11 – Paddler auf der Flucht vor Kühen

Etwa 5 Minuten später war der Spuk vorbei. Die Sonne kam raus und schien, als wär nie was gewesen und die Bauern haben ihre Kühe wieder über Fluss auf die Weide gescheucht. Was uns eine halbe Stunde zuvor in Panik versetzt hat, ist in dem Örtchen Brzostowo Alltag. Naja.


Tag 11 – Kühe auf dem Weg nach Hause

Eine kleine urbane Legende, die während unserer Tour hartnäckig weitergereicht wurde, konnte bei der Gelegenheit ganz anschaulich widerlegt werden: Keine Ahnung, ob die Viecher einen funktionierenden Schließmuskel haben oder nicht, sie laufen jedenfalls nicht voll Wasser und gehen dann unter. So!


Tag 11 – Regenbogen

Ich lasse diese Episode als Grande Finale so stehen und schließe den Bericht mal so langsam ab. Der letzte Tag war dank Gegenwind nur noch anstrengend und ich war körperlich doch recht fertig. Wir haben das Ziel unserer Tour erreicht, daran hatte ich zwischendurch schon einige Zweifel, aber wir habens geschafft. Darauf bin ich ein kleines bißchen Stolz, auch wenn sich keine wirkliche Euphorie einstellte, als wir die Boote endgültig an Land gezogen hatten.


Tag 11 – Aussicht

Unser Bootsverleih hat uns und die Boote wie verabredet eingesammelt und uns nach Augustow zurück gebracht, wo wir auf dem lautesten, hässlichsten aber dabei auch teuersten Zeltplatz der Tour noch eine Nacht überbrücken mussten, bevor wir 16 stündige Heimfahrt antreten konnten. Und wer bis hierhin durchgehalten hat, hat es irgendwie auch verdient, dass ich ihn nicht mit noch mehr Belanglosigkeiten langweile.


Tag 12 – Der Gepäckbootpaddler

Ich hoffe, ich konnte halbwegs vermitteln, was wir für einen tollen Urlaub hatten. Trotz aller Strapazen und Unannehmlichkeiten – und dabei hab ich noch kein Wort über Mücken und Bremsen verloren – hat das einfach Wahnsinnsspaß gemacht und zwar so sehr, dass der Bühnenterrorist bereits an der Planung fürs nächste Jahr sitzt.

Hier gibt es eine etwas größere Auswahl an Bildern.

* Wir haben während der 2 Wochen Urlaub nicht einen einzigen Laden betreten – manche davon waren gerade 11m² groß – in dem es keine Holzkohle gab.

** Nein, weder ich noch meine Liebste haben einen Werbevertrag mit der Firma Sobieski. Ich wäre Zuwendungen aber nicht abgeneigt.

  1. komisch, irgendwie tun mir nach dem bericht die oberarme weh. 12 tage paddeln – respekt! heute endlich zeit für’s persönliche gespräch … (siehe nächster artikel)

  2. jaja die holzkohle.das zeug wird da drüben ja gedealt. 😉 schöner reisebericht.ich bin mal gespannt wann kanu rutschen olympisch wird.
    grüsse.

  3. Super, dein Reisebericht. Stellenweise habe ich herzlich gelacht, Am besten war das Bootrutschen. Gab es Nachts keine Spinnen in den Zelten? Von was habt ihr da gelebt? oder habt Ihr selbst gekocht?

  4. Spinnen gab es, aber leider nicht genug. Das viel größere Problem waren nämlich die Mücken und Bremsen und die vollkommen Wirkungslosigkeit aller vorhanden Insekten-Sprays.

    Unsere Ernährung war ziemlich üppig. Wir haben fast jeden Abend gegrillt oder was gekocht. Ab und zu haben wir im Restaurant lokale Spezialitäten verzehrt. Aber bei soviel sportlicher Betätigung, brauchten wir auch eine reichhaltige Ernährung 😉

  5. Super Bericht und richtig gut geschrieben. Du hast einen angenehm zu lesenden, humorigen Stil. Der Urlaub klingt toll, auch wenn 14 Tage in Zelten aus meiner Sicht die Schmerzgrenze überschreitet (und das bereits so, obwohl Du nichts von diversen Insekten geschrieben hast ;-)). Ist ja alles dabei, von Abenteuer bis Romantik. Und die Illustrationen dazu – die sind euch wirklich gelungen.

  6. In der Tucheler Heide is ein schönes Paddelgebiet. Näher an Deutschland und fast noch schöner als die Masuren (da waldreicher).

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